Eigentlich sollte das 35-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Kassel und Ramat Gan gefeiert werden. Doch vieles kam anders: Die Deutsch-Israelische Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Kassel (DIG Kassel) blickt zurück auf intensive Tage, die von guten Ergebnissen, Freudenmomenten, aber auch Negativem geprägt sind.
Als ehrenamtliche Initiative, die sich für deutsch-israelische Freundschaften zwischen den Menschen beider Länder engagiert, setzt sich die DIG Kassel in Kooperation mit der Stadt Kassel (Oberbürgermeisterbüro) für die Pflege der Städtepartnerschaft mit der Stadt Ramat Gan (bei Tel Aviv) ein. Geplant war der 10-tägige Besuch einer kleinen Delegation in Kassel, um die Beziehungen vor allem in den Bereichen Kunst, Kultur und Bildung zu vertiefen und neue Kontakte zu knüpfen. Kurz vor Ende des Besuches kam es anders: Der Luftraum über Israel wurde wegen Angriffen aus dem Iran gesperrt und ein Rückflug war für weitere 10 Tage nicht möglich.
Zu Beginn ein volles Programm zur Vertiefung der Städtepartnerschaft
Der erste Teil der Reise lief wie geplant und sehr erfolgreich: Die Reisegruppe aus Ramat Gan hatte viele Besuchs- und Gesprächstermine bei unterschiedlichen Einrichtungen. Das Programm war eng getaktet, zukunftsträchtige Kooperationen wurden vertieft und neu geschlossen. Die Gäste aus Israel konnten am Festakt „70 Jahre documenta“ teilnehmen, und erlebten neben der Stadt bei Ausflügen in der Region die nordhessische Landschaft, die Rhön mit Fuldaquelle, Wasserkuppe und Mooren, bewunderten das Fachwerk in Hann. Münden und erfuhren im Grenzmuseum „Schifflersgrund“ viel vom Kalten Krieg, Deutscher Teilung und Wiedervereinigung.
Festakt von Protesten begleitet
Am 12. Juni wurde im Rathaus das 35. Jubiläum der Städtepartnerschaft gewürdigt. Dies nahmen einige Gruppen zum Anlass für eine Israel-kritische Kundgebung vor dem Rathaus. Boris Krüger, DIG-Vorsitzender: „Es ist bedauerlich, dass unsere vier Gäste auf der Ebene einer kommunalen Partnerschaft mit dem israelischen Regierungshandeln und dem Leiden in Gaza in Verbindung gebracht wurden.“
Zur Vermeidung von Auseinandersetzungen und Gefährdungen betraten die Gäste das Rathaus über einen Seiteneingang. Die Kundgebung war laut und störend, aber die zur Feier des Tages gehisste Flagge Israels blieb an ihrem Platz, und Polizei und Ordnungsamt mussten nicht eingreifen. Boris Krüger: „Den Protest, der sich gegen die israelische Regierung richtete, einseitige Vorwürfe und pauschale Vorurteile haben ausgerechnet Freundinnen und Freunde Kassels abbekommen, die sich für Völkerverständigung, kulturelle Kooperationen und Jugendbegegnung einsetzen.“
Besonders bewegend waren für Sari Golan, die Chefkuratorin des Ramat Gan Museum of Israeli Art, die außergewöhnlichen musikalischen Darbietungen während der Feierveranstaltung: Eine modifizierte Version der „Hatikva“ und vom Eurovision-Lied, womit Israel dieses Jahr den Publikumspreis gewann, „haben mich zu Tränen gerührt. Es war ermutigend und stärkend, die israelische Flagge über dem Rathaus wehen zu sehen, obwohl draußen vor dem Gebäude eine pro-palästinensische Demonstration mit palästinensischen Flaggen und anderen Provokationen stattfand.“
In Kassel gestrandet: Sorgen, Schlafmangel und Online-Arbeit für die Heimat
In der folgenden Nacht kam es zur den ersten Angriffen Israels auf die Atomanlagen der Islamischen Republik Iran, weshalb der Besuch eine weitere Wendung nahm und die Sicherheitsmaßnahmen für die Gäste vorsorglich verschärft werden mussten.
Sie sorgten sich tags und nachts um ihre Familien während der Raketenangriffe auf zivile Ziele in Israel ohne Aussicht auf eine Rückreise. So war auch die Veranstaltung „Kulturelles Erbe in Kriegszeiten: Welche Erkenntnisse wurden gewonnen?“ am folgenden Tag im Sara Nussbaum Zentrum ein emotionales Auf und Ab, denn immer wieder waren die Smartphones zu hören, wenn Luftalarm gemeldet wurde und erste Meldungen von Zerstörungen und Verletzten in Ramat Gan eintrafen.
„Diese Erfahrung hat aber zugleich zwischenmenschliche Verbindungen vertieft, denn gemeinsam wurde die schwere Zeit miteinander ausgehalten,“ heißt es von Elena Padva, Leiterin des Sara Nussbaum Zentrums: „Ich freue mich, dass es zahlreiche Engagierte in Kassel gibt, die in diesem und vielen weiteren Momenten dabei waren, um internationale Freundschaft zu erweisen, und die den Gästen in der Anspannung beigestanden haben“.
Während der unfreiwilligen Verlängerung blieben die Gäste nicht untätig, sondern arbeiteten im „home-office“ des Hotels an ihren Aufgaben in der Stadtverwaltung Ramat Gan und dem Museum für moderne Kunst. Abends versuchten sie dann bei gemeinsamem Essen im Freundeskreis der DIG auf andere Gedanken zu kommen.
Lichtblicke auch in düsteren Zeiten
Rückblickend spricht Roi Barzilay, Vize-Bürgermeister und Kulturdezernent von Ramat Gan über seinen Besuch in Kassel: „Die Vision des Dialogs zwischen städtepartnerschaftlicher Kultur und Bildung ist mit dem Ausbruch des Krieges von einer Kulturmission zu einer bedeutenden Informationsmission geworden. In Europa ist es sehr kritisch gegenüber Israel und da ist eine persönliche Stimme direkt und menschlich, schafft es zu berühren, nachdenklich zu machen und zu verändern.“ Eine solche persönliche Stimme brachte er selbst auch in seiner Festansprache im Rathaus ein (hier online nachzulesen). Dort hatte er bereits betont, dass Städtepartnerschaften wie die zwischen Kassel und Ramat Gan ein demokratisches Gegenmittel gegen Hass sind: „Lassen Sie uns gemeinsam eine bessere Zukunft bauen.“
Mittlerweile sind unsere Gäste wieder in ihrem Heimatort Ramat Gan angekommen und der Waffenstillstand mit dem Iran scheint stabil.
DIG-Vorstandsmitglied Wolfgang Schwerdtfeger – seit vielen Jahren in Kassel und Ramat Gan ehrenamtlich für die Städtepartnerschaft engagiert, fasst es zusammen: „So bedrückend die Rahmenbedingungen im zweiten ‚ungeplanten‘ Teil des Besuchs auch waren, wird allen Beteiligten diese Zeit in Erinnerung bleiben. Das solidarische, vertrauensvolle Miteinander dieser Tage ist für künftige Projekte und Ideen in der Städtepartnerschaft ein wertvoller weiterer Aspekt für die Zusammenarbeit der Menschen guten Willens hier wie dort.“










Die Rede im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubiläum der Städtepartnerschaft am 12.6.2025 im Rathaus Kassel findet sich hier zum Nachlesen: Städtepartnerschaften als demokratisches Gegenmittel gegen Hass – Rede von Roi Barzilay anlässlich 35 Jahre Städtefreundschaft Ramat Gan und Kassel.
Text & Fotos: Vorstand DIG Kassel